Wer die Vision der Firma für Zierrat hält, versteht wohl auch vom Rest nicht viel.
von Andreas Karutz
Eine mitreißende Vision muss von der Unternehmensführung kommen
Kann man eine Vision anfassen?
Die meisten Unternehmen haben eine Vision. Aber welcher Geschäftsführer würde seine Hand dafür ins Feuer legen, dass jeder Mitarbeiter, den man nachts wecken würde, die Vision des eigenen Unternehmens erzählen könnte? Kaum einer. Und wenn dem so ist stellt sich die Frage, ob eine Vision überhaupt wichtig ist?
Wofür hat man dann eine Vision, wenn es egal ist, ob die Mitarbeiter die kennen? Ist das Selbstbeschäftigung des Managements, weil man nun mal laut Lehrbuch eine Vision zu haben hat?
Ohne Vision keine Strategie
In einer längeren Diskussion zu Vision und Strategie gab es mal eine genervte und wirklich ehrliche Antwort aus einem Geschäftsleitungskreis: „Die Vision ist eh nur Blabla in schönen Worten und unsere Strategie ist zu kompliziert. Die meisten Mitarbeiter interessieren sich nicht für diese Dinge, sondern für ihre Aufgaben, das Gehalt und das Kantinenessen.“ Eine herrliche Antwort, belebt so eine erfrischende Aussage die Diskussion doch ungemein!
Nach einigen inquisitorischen Minuten verständigte sich das Management auf drei gemeinsame Erkenntnisse.
- Erste Erkenntnis: Die Vision der Firma war Blabla.
- Zweite Erkenntnis: Die Strategie war zu kompliziert.
Sie entpuppte sich als aufwendiges Artefakt, das auf nicht weniger als 61 Seiten (inkl. Anhang) eine traditionelle Planungsmethodik auswalzte (die ohnehin nur für etablierte und vorhersagbare Märkte taugt) und einen bombastischen Mehrjahres- Zahlensalat anrichtete. Klar, das war nicht nur für die Mitarbeiter zu kompliziert (so sie diese Strategie überhaupt zur Kenntnis bekommen hatten), nein, auch keine Führungskraft arbeitete damit, weil sich ständig die Bedingungen änderten die der Strategie zugrunde lagen.
- Dritte Erkenntnis: Das Menschenbild, das die Führung von den Mitarbeitern hat, war das von selbstbezogenen, unmündigen Kleingeistern die der ständigen Anleitung und Fürsorge bedürfen.
Meine erste Frage an dieser Stelle lautete: „Wer von Ihnen hat eigentlich Idioten eingestellt?“ Das waren ganz schlechte Voraussetzungen für Agilität.
Die Vision als Treibsatz
Aber um bei der Vision zu bleiben: Jeder gesellschaftliche Fortschritt begann mit einer Vision, einem zündenden Bild der Zukunft, ansprechend und geradezu unwiderstehlich formuliert. In längstens fünf Minuten muss eine Vision vorstellbar sein und mindestens für Interesse sorgen. In der Geschichte politischer Bewegungen ist das geläufig, weil so etwas mobilisiert und die Reihen schließt. Und das soll für Unternehmen unwichtig sein?
Es ist gut, wenn sich die Mitarbeiter (okay, zumindest die wichtigsten Mitarbeiter) mit dem Zweck ihres Unternehmens identifizieren können. Egal ob die Firma Sportwagen baut oder Inkontinenzprodukte herstellt, die Mitarbeiter haben Anspruch auf eine Vision, an der sie sich begeistern können. Und wenn nicht einmal die Führungsspitze weiß wofür sie sich begeistern soll, wie kann man dann von den Mitarbeitern erwarten, sich mit Fleiß, Kreativität und Freude am Gedeihen der Firma zu beteiligen?
Eine mitreißende Vision zu entwickeln ist die Aufgabe der Unternehmensspitze. Das fängt schwammig an, wird mit einer Prise Analyse in Form gebracht und mit einem Schuss kreativer Träumerei angereichert. Die Vision ist die Basis für die Strategie und sorgt für die Ausrichtung des Individuums an den Schwarm (Alignment). Für die notwendige Kommunikation von Vision und Strategie an die Mitarbeiter kann man sich übrigens gut an den Flight Levels in Kanban orientieren.
Und wenn dann noch mit agilen Prinzipien den menschlichen Grundbedürfnissen nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit entsprochen wird, dann werden die Mitarbeiter ihr eigenes Handeln in den Dienst des Unternehmenszwecks stellen.
Und dann kann man eine Vision anfassen.