Geld verbrennen geht schnell, oder: Wenn man unter agilen Bedingungen arbeiten will, dann muss man die Regeln dafür einhalten.
von Andreas Karutz
Agiles Management versus Kompetenzillusion
Optimisten finden Chancen
Die Welt leicht rosarot zu sehen gilt allgemein als gut. Optimisten sind glücklicher und leben länger. Im Geschäftsleben ist Optimismus wichtig, um Chancen zu ergreifen. Eine solche Chance sah eine Geschäftsleitung gekommen, als aus Verhandlungen des Kooperationsmarketings eine Vermarktungsidee geboren wurde. Es ging um den Verkauf verschiedener Produktlinien und einer Promotion von Dienstleistungen der kooperierenden Firmen im Kundenkreis des Handelsunternehmens.
Geld sollte in Form von Werbekostenzuschüssen, befristeten Sonderkonditionen und Provisionen fließen. Je größer die Vermarktung, desto größer wäre der ergebnisrelevante Betrag für das eigene Unternehmen.
In der Geschäftsführung und im Kooperationsmarketing machte sich soziale Euphorie breit. Lange war mit Kooperationspartnern nicht viel gelaufen und die Geschäfte liefen schleppend dem Plan hinterher. Dieses neue Geschäftsfeld sollte eine Wende bringen und man war glücklich.
So beeilte sich die Geschäftsführung, dem Marketing Kampagnenteam die frohe Botschaft zu übermitteln und die möglichst umfangreiche Einbindung in die laufende Kampagnenfolge des 3.Quartals (Q3) zu beauftragen, verbunden mit der Erwartung, daraus aber „was Großes zu machen“.
So weit, so gut.
Bunte Luftballons
Das Kampagnenteam war über die Mittel erfreut. Es hatte keine Probleme damit, aufgrund aktueller Opportunitäten in eine laufende Kampagne einzugreifen und war dazu täglich in der Lage (das müssen Kampagnenteams öfter machen, meistens im negativen Sinn, wenn z.B. ein Testimonial unverhofft vom Sympathieträger zur werblichen Unperson wird, wenn Budgets gekürzt werden oder auf Aktionen der Konkurrenz reagiert werden muss).
Das Team sah also die Chance, wollte aber nicht gegen den Markt verkaufen und gewichtete die Risiken des Sommerlochs Juli/August stärker als die erkauften Vermarktungsmöglichkeiten („Geld verbrennen“) und bat um eine Verschiebung in den September und nach Q4, verbunden mit einigen finanziellen Umschichtungen und kreativen Ideen für die Stärkung von Q3, die durch den Mittelzufluss auch möglich geworden wären, plus ersten Skizzen für zukünftige integrierte Kampagnen mit Partnern. Das waren schnelle und konstruktive Vorschläge im Sinne der Sache.
Raue Wirklichkeit
Das auf die Provisionen fixierte Kooperationsmarketing war empört und bestand darauf, diese „Riesenchance“ nicht zu verspielen (später kam raus, dass sie gar nichts verhandelt hatten, weil die Key Account Manager der Hersteller nur für Q3 Geld bereitstellen wollten, um nämlich ihr eigenes Sommerloch zu stopfen. Und ohne gute Argumente und brauchbare Alternativen für weitere Geschäfte standen die Verhandlungen seitens des Kooperationsmarketings auf Plattfüßen).
Die Produktmanager schlugen in die gleiche Kerbe. Ihnen ging es um den Hebel auf die gesamte Kalkulation und damit um eine Absicherung ihrer Bereichsziele. Vertreter beider Bereiche im Kampagnenteam bekamen den unmissverständlichen Auftrag die Bereichsinteressen durchzusetzen.
Die Geschäftsführung umging den Konflikt und schloss sich der Mehrheit an.
Was war hier passiert?
Wenn Optimisten schlechte Nachrichten erhalten neigen sie zu kognitiver Verzerrung. Die schnelle Belohnung war zu verlockend. Zu leicht das Geld verdient mit einem Mehr an Budget von Dritten. Also nur eine Chance?
Statt die schwierige Frage zu beantworten „Ist das die richtige Angebotspolitik für Q3, um uns im Kontext von Markt-Kunde-Konkurrenz zu profilieren und stehen Aufwand, Risiko und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis zueinander?“, wurde sie durch die leichte Frage nach „Mag ich dieses neue Geschäftsfeld?“ ersetzt. Spöttisch könnte man auch fragen "Gebe ich gerne das Geld von anderen Leuten aus?".
Die Sicherung rausdrehen
Üblicherweise macht ein Kampagnenteam eine Post-Mortem Befragung, bevor eine teure Kampagne entschieden bzw. der Geschäftsführung vorgestellt wird. Die geht so: Wir sind jetzt X Monate in der Zukunft und das was wir hier beschließen wollen ist umgesetzt worden und das Ergebnis ist eine Katastrophe.
Schreibt die Geschichte dazu auf (nicht irgendwelche Ausreden oder wahllosen Gründe, sondern eine kohärente, glaubwürdige Geschichte. Eine Geschichte des Scheiterns, die so glaubwürdig ist wie die Geschichte des Gelingens, an die das Team gerade glaubt. Und dann wird das Ganze nochmal durch den Wolf gedreht).
In einem funktionierenden agilen Team wird der verteilte Sachverstand in gleichgewichtete Meinungen aller Mitglieder eingebracht, um alle relevanten Aspekte abzudecken. Jedes Teammitglied kann und muss sich einbringen und an der Entscheidung mitwirken, sonst hat man im Team nichts zu suchen.
In diesem Fall konnte das unterbleiben, weil es eine „Ansage“ gab und die Bereichsvertreter aus Kooperationsmarketing und Produktmanagement entsprechend konditioniert waren. Damit war aber auch das Team gesprengt und die agile Sicherung umgangen worden. Die Kompetenzillusion der besser bezahlten Manager gegenüber dem Team gab den Ausschlag.
Das war kostspielig, denn weder wurden die eigenen Kundenziele erreicht, noch gab es eine Bereitschaft bei den Kooperationspartnern für eine Fortsetzung solcher Aktionen (woraus deutlich wird, dass die unverhofften Drittmittel alles andere als "umsonst" waren).
Richtig ist einfach, aber nicht so leicht
Richtig wäre folgendes Vorgehen gewesen: Das Kooperationsmarketing hätte mit mehr Sachverstand aus dem Kampagnenteam heraus mit den Key Accounts reden und Alternativen entwickeln und anbieten müssen, so dass die Partner nicht vom Haken gingen oder für zukünftige Aktionen verbrennen würden. Das gesamte Kampagnenteam hätte für die Verhandlungen wertvolle Lösungen beitragen können (so wie es im Nachgang geschah).
Aber dieser Kontext ist nicht hergestellt worden, weil sich das Kooperationsmarketing in diesem Thema autonom sah, obwohl es der gemeinsamen Aufgabe „Wir machen die stärksten und besten Kampagnen im Markt“ zumindest rhetorisch nicht widersprochen hatte. Gleiches galt sinngemäß für das Produktmanagement. Damit war das Kampagnenteam dysfunktional geworden, obwohl es hoch entwickelte Fähigkeiten besaß und von seiner Zusammensetzung und Organisation her gute und schnelle Arbeit leistete.
Die Geschäftsführung hätte erkennen müssen, dass die Optimierung von Bereichszielen nicht auf das Ganze einzahlte sondern nur der Absicherung der Boni diente. Sie hätte ferner abwägen und entscheiden müssen, ob die unverhofften Drittmittel für ein „irgendwas wird’s schon bringen“ verplempert werden sollen und mit einem Imageschaden bei den Kooperationspartnern mit entsprechenden Folgewirkungen erkauft werden würden. Die Expertise lag schließlich vor.
Die Gründe für das Scheitern sind einfach:
- Das Team war kein Team. Die Selbstverpflichtung untereinander wurde durch die Einbindung der Mitglieder in die Linienorganisation unterlaufen. Es gab auch keine starke Führungskraft, die das verhindern konnte. Das waren organisatorische Mängel.
- Die Bereitschaft des Managements zu situativen Durchgriffen nach Stimmungslage.
Fazit: Wenn man unter agilen Bedingungen arbeiten will, dann muss man auch die Regeln dafür einhalten.